Wie weiter? Weiter so!
Diese Wahl fühlt sich wie ein kleiner Aufschub an.
Es sollte eine Richtungswahl werden, die einen Politikwechsel versprochen hat. Wie erinnern uns: die Ampel war im November 2024 krachend gescheitert aufgrund von Dissens in der Wirtschaftspolitik, Kanzler Scholz hatte Finanzminister Lindner entlassen. Für einen Moment lag die Hoffnung auf eine Brise frischen Wind in der Luft: die Wahlen würden es richten, den Mehltau der Ampel abräumen, der die Handlungsfähigkeit der Regierung ins Unerträgliche hineingesteigert hatte und Deutschland wieder auf Spur bringen.
Vom Regen in die Traufe
Davon ist gestern nichts geblieben außer Konfusion und Ernüchterung. Erdrutschartiger Verlust für die SPD, Überraschungserfolg der Linken, die CDU verfehlt die 30 %-Marke, die irgendwie die Zahl ist, ab der man sich „Volkspartei“ nennen darf. Das BSW verfehlt um Haaresbreite den Einzug in Parlament – und weist darauf hin, dass hier vielleicht nicht alles mit rechten Dingen zuging: nachdem alle 299 Wahlkreise ausgezählt waren, lag das BSW bei genau 4,972 %. Es fehlten also nur 0,028 % Stimmen für einen Einzug in den Bundeszug. Nur weil das BSW seinen Einzug knapp verfehlte, kann Merz jetzt nur mit der SPD eine GroKo bilden, sonst hätte er wohl die Grünen dafür gebraucht. Es fehlten also deutschlandweit nur rund 13.000 Stimmen, was ungefähr der Anzahl der Auslandsdeutschen einspricht, die laut Fabio de Masi massiv durch negative Exit-Polls von der Wahl abgehalten wurden, während Wähler in Deutschland durch offenbar falsche Exit-Polls, die das BSW auf 3 % runtergeschrieben haben, gegen eine Wahl des BSW beeinflusst wurden, wie er in einem Posting auf X erklärte.
Vom Regen in die Traufe ist ein deutsches Sprichwort. Man wollte etwas ändern, gar besser machen, aber alles bleibt beim Alten und wird wohl noch schwieriger – wie unerquicklich für den Wähler! „Durchregieren“ war der Luxus der Merkel-CDU. Friedrich Merz sieht sich mit schwierigen Koalitionsverhandlungen konfrontiert, in denen er seine neoliberale Wirtschaftspolitik und seine der AfD abgekupferte Migrationspolitik der SPD wird schmackhaft machen müssen, denn eine GroKo scheint die Option zu werden: wie das bis Ostern gehen soll, bleibt angesichts der programmatischen Unterschiede, die an Abgründe im Hochgebirge erinnern, schleierhaft.
Eine Idee ist die Reduzierung und Fusion von Ministerien. Ein neues „Infrastrukturministerium“ soll entstehen, zuständig für Bauen, Verkehr und Energienetze, ein Ministerium für Wirtschaft und Arbeitsmarktpolitik. Einen solchen Zuschnitt hat es zuletzt unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder (1998-2005) gegeben, mit dem SPD-„Superminister“ Wolfgang Clement. Ein neues Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit soll geschaffen werden. Diskutiert wird zudem, ob das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt zusammengelegt werden könnte. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte aufgelöst bzw. mit der KFW und GiZ zusammen ein neues Ministerium für Rohstoffsicherung und internationale strategische Entwicklung werden. Man könnte mit böser Zunge behaupten, dass hier „Kriegstüchtigkeit“ auf ministerieller Ebene vorbereitet wird.
Brandmauer wird fallen
Auch in ganz Europa mehr Verwirrung und Schulterzucken angesichts des Ergebnisses. Wie immer hat man in Paris, Rom oder Warschau auf diese Wahl geschaut: ohne oder gegen Deutschland geht in der EU gar nichts. Aber Frau von der Leyen hatte offenbar nicht mal Zeit für Glückwünsche an ihren Parteigenossen Friedrich Merz. Der Brüsseler Apparat läuft hochtourig, aber planlos, nachdem die USA verkündet haben, den Krieg in der Ukraine zu beenden und über die Köpfe der Europäer hinweg zu verhandeln. All diejenigen Hauptstädte, die sich ein politisch stabiles und führungsstarkes Deutschland gewünscht haben, werden wohl enttäuscht werden: der Konflikt über die Entsendung von Taurus-Marschflugkörpern, der schon die Ampel blockiert hat (SPD nein, Grüne ja), wird in die neue Koalition überführt: auch hier ein lautes „Weiter so“. 700 Milliarden weitere Unterstützungszahlungen für die Ukraine sind offenbar schon bewilligt. Friedrich Merz scheint die deutsche Wirtschaft mit der Umstellung auf Kriegswirtschaft und Waffenproduktion beleben zu wollen. Ob das langfristig gut ist für Europa, fragt inzwischen niemand mehr: europäische Aufrüstung und weitere Konfrontation mit Russland, scheint die Devise in Europa zu sein, koste es, was es wolle – und ganz gleich ob die USA sich aus dem Konflikt zurückziehen.
The good news ist: Die Jugend des Landes steht dem Wahlergebnis bzw. der Regierungsbildung diametral entgegen: Sie erstellt quasi einen Misstrauensantrag gegen die etablierten Parteien und das „Weiter so“ und wählte die „Alt- oder Westparteien“ gnadenlos ab: Linke, AfD und BSW kommen zusammen auf 52 %! Es braucht also zur noch ein bisschen mehr demographische Schwerkraft, dann kann der Politikwechsel auch in Deutschland kommen!
Sowieso gehen viele davon aus, dass die neue GroKo keine vier Jahre durchhält. Wer sich das AfD-Votum en détail Wahlkreis per Wahlkreis anschaut, kann dort sehen, wie „blau“ Deutschland – vor allem auf dem Land und im Osten – schon ist. Was auch immer diese Wahl war: sie fühlt sich an wie ein kleiner Aufschub. Das „blaue Wunder“ dürfte spätestens 2029 kommen, bis dahin ist die umstrittene Brandmauer ganz sicher entgegen aller Versprechen gefallen!