Ein gemeinsamer Panzer als Projekt der Freundschaft?

Esprit Européen #2

Heute früh meldete der #DLF in den Nachrichten, dass endlich wieder Dynamik in die deutsch-französischen Beziehungen käme. Ein Industriekonsortium aus deutsch-französischen Unternehmen würde jetzt die Beschaffung von Rüstungsgütern in Deutschland und Frankreich besser koordinieren, das sei für das geplanten, gemeinsamen deutsch-französischen Panzer sehr wichtig.

Ich muss zugeben, dass ich einen nostalgischen Moment hatte. In den 1980 und 1990er Jahren, der „Hoch-Zeit“ der deutsch-französischen Beziehungen, also in den Jahren von Helmut Kohl, François Mitterrand und Jacques Delors (für den ich von 1996 bis 1998 in Paris beim Institut „Notre Europe“ arbeiten durfte), ging es nicht um Panzer!

Bei „Notre Europe“ – übersetzt „Unser Europa“ – ging es um deutsch-französischen Jugendaustausch, die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments, um ein europäisches Bürgereuropa, eine Friedensordnung Europas mit Russland, eine gut gemanagte EU-Osterweiterung und vor allem um die Wiederbelebung der europäischen Kultur. Die europäischen „Kulturhauptstädte“ wurden erfunden, Europa bekam einen bordeauxroten Pass als Symbol und Beethovens 9. Sinfonie als Hymne für die Völkerverständigung dazu: Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt …

Es gab eine europäische Aufbruchstimmung, die man sich heute kaum noch vorstellen kann, die „politische Union Europa“, die gegründet werden sollte, war parteiübergreifend unstrittig.

Diese Luft ist seit langem raus: Aus Anlass des 50. Jahrestages des Élysée-Vertrags habe ich 2013 bereits einen Artikel geschrieben, warum das einstige deutsch-französische Tandem für Europa nicht mehr funktioniert und seither mindestens im Leerlauf ist. Die Gründe dafür waren schon vor zehn Jahren vielfältig: Frankreich war schlecht durch die Bankenkrise gekommen und litt damals schon an rapider Deindustrialisierung, die heute auch Deutschland ereilt. Peugeot wurde geschlossen. 2012/ 2013 hat Frankreich rund 600.000 Industriearbeitsplätze verloren. Deutschland wiederum interessierte sich nicht mehr für Europa, sondern wollte alleine in die Welt hinaus.

Es forcierte seine Kooperation mit den BRICS-Staaten, die sich 2009 schon zusammengeschlossen hatten. 2011 betrug der deutsche Anteil am europäischen Export nach China stattliche 45 %. Die Nord-Stream-Pipeline von Russland direkt nach Rügen wurde 2010 gebaut. Deutschland wollte nach Osten, nach Eurasien aufbrechen, wollte billiges Gas und viel Handel mit China.

Europa, vor allem der Süden, war für Deutschland eine Last geworden, war allem der europäische Süden, Italien, Spanien, Griechenland.  Als größter Nutznießer von Binnenmarkt und Euro wandte sich Deutschland während der Bankenkrise von Frankreich und ganz Europa ab, die EU hatte ausgedient (Link).

Das alles ist rund zehn Jahre her. Man darf vermuten, dass es vor allem die USA waren, die es damals nicht so prickelnd fanden, dass sich Deutschland, ausgestattet mit billigem Gas aus Russland, wirtschaftlich sprudelnd, voll „drin“ im China-Geschäft, von Europa und damit auch vom „Westen“ abwandte. Man darf deswegen auch vermuten - bzw. man kann dokumentieren - dass die immer strategisch klugen und vor allem sehr weitsichtigen USA wirtschaftliche und politische Strategien entwickelt haben, um dem in die Welt ausgreifenden Deutschland gleichsam einen transatlantischen Strich durch die Rechnung zu machen (Link).

In die lose Aufzählung dieser – natürlich sublimierten – Strategien gehören z.B. die gezielte Zerschlagung von VW durch die Diesel-Affäre (die Dokumente wurden in den USA geleaked), zu einem Zeitpunkt, wo VW gerade dabei war, u.a. durch das China-Geschäft der größte Autokonzern weltweit zu werden; der etwa zeitgleiche Umbau der Deutschen Bank von der „Deutschland AG“ zu einer Investmentbank nach amerikanischer Strickart unter dem Briten, Anshu Jain, der der Bank von 2012 bis 2015 vorstand; die umstrittenen bzw. fragwürdigen Ereignisse um den ukrainischen „Maidan“ 2014, mit dem Europa, allen voran Deutschland und Frankreich, in eine Politik hineingezogen wurden, die letztlich zum Ziel hatte, die Ukraine als NATO-Frontstaat aufzubauen und die heute, zehn Jahre später, inzwischen zu einem „heißen“ russisch-amerikanischen Stellvertreter-Krieg auf europäischen Boden geführt hat. Angela Merkel hat inzwischen eingestanden, dass die Minsker Abkommen I & II lediglich das Ziel hatten, Zeit für die Aufrüstung der Ukraine zu gewinnen (Link).

Kurz: der deutsche bzw. europäische Aufbruch in den BRICS-Osten, der Europa in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht sehr gutgetan hätte und aus der sich, angeführt von einem starken deutsch-französischen Tandem (Link), eine Politik der europäischen Emanzipation und eine Herauslösung aus der geostrategischen amerikanischen Umklammerung hätte herausbilden können, wurde von Washington sichtlich unterminiert. Statt Aufbruch, Aufschwung und Emanzipation für Europa gibt es jetzt stattdessen eine Politik, in der Deutschland und Frankreich einen gemeinsamen Panzer bauen (müssen?), um vielleicht in einen Krieg zu schlittern, der für Europa ebenso absurd wie selbstzerstörerisch ist, weil er Europa das Genick brechen wird (Link).  

Ich weiß nicht, ob Charles de Gaulle und Konrad Adenauer daran gedacht haben, als sie 1963 den Élysée-Vertrag unterzeichnet habe. Aber wir leben ja in Zeiten, in denen gerade alles umgedeutet wird …

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Rede auf der Friedensdemo anlässlich der Münchener Sicherheitskonferenz

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